Sie produzieren keine Ego-Shooter, aber Ballerorgien sind in ihren Spielen möglich. Reine Stealth-Games sind es auch nicht, doch unentdecktes Vorgehen ist möglich. Es sind keine reinen Action-Spiele, aber es gibt eine geballte Ladung blutiger Kämpfe. Rollenspiele sind es nicht, aber der Spieler trifft konsequenzenreiche Entscheidungen. Seit 19 Jahren produzieren die Arkane Studios einzigartige Spiele, die jedem Genre trotzen und unvergleichliche Welten bieten.
Raphael Colantonio lebte im Süden Frankreichs, ohne ein klares Ziel, was er im Leben erreichen wolle. Er folgte dem Wunsch seiner Eltern Ingenieurwesen zu studieren und spielte nebenbei in einer Band, um seiner Kreativität freien Lauf zu lassen. 1993 sah er in einer Videospiele-Zeitschrift ein Preisausschreiben. Der Gewinner sollte eine Reise nach Texas gewinnen, wo er Origin Systems neustes Spiel, Ultima VIII, vor dem Release spielen könne. Alles was Raphael dazu machen musste, war Fragen zur Ultima Reihe zu beantworten. Als absoluter Fan der Ultima Spiele fiel es Raphael leicht und er malte sich bereits große Chancen aus, weil die Fragen es schon in sich hatten. Aber der folgende Anruf von Electronic Arts war nicht, was er erwartet hatte. Es stellte sich heraus, dass es gar keine Reise zu gewinnen gab. Der Wettbewerb zielte lediglich darauf ab, potentielle Angestellte für eine französische EA Niederlassung zu finden. Was Raphael in dem folgenden Vorstellungsgespräch gewann, war ein verfrühter Ausstieg aus seiner Wehrdienstzeit. Electronic Arts kümmerte sich um den gesamten Papierkram und dafür organisierte Raphael die IT und den Customer Support. In den Folgejahren war er zudem für die französische Synchronisierung der Electronic Arts Spiele zuständig. Aber als Erstes durfte Raphael Looking Glass‚ System Shock testen. Ein Spiel das ihn ebenso mitriss wie sein bisheriges Lieblingsspiel Ultima Underworld. Seine Zeit bei Electronic Arts machte ihn 1993 zum Assistant Producer von Ultima Underworld II und verschaffte ihm 1995 tatsächlich einen Besuch bei Origin Systems in Austin. Was Raphael dort sah, haute ihn um. Er schwor sich, eines Tages nach Austin zurückkehren und dort zu arbeiten.
Mit der Einführung von Sony’s Playstation kam die große Wende. Electronic Arts schien Origin plötzlich nicht mehr zu mögen und nur noch Sportspiele produzieren zu wollen. Daher kündigte Raphael 1997 und heuerte stattdessen bei Helio Game in seiner Heimatstadt Lyon an, wo er lernte kleine Teams zu managen. Helio Game trug im Laufe der Jahre verschiedene Namen, die von Heliovisions Productions bis Doki Denki reichten. Letzter Name ist vielleicht eher im Gedächtnis, da sie 2003 Delphine Software kauften. Bei Helio Game wirkte Raphael an Hexplore mit und wurde Produzent von The Smurfs auf der Playstation. Obwohl die Schlümpfe alles andere als das typische Rollenspiel waren, hatte es großen Einfluss auf Raphaels Laufbahn. Denn für das Spiel arbeitete er mit Programmierer Cyril Meynier, 3D Künstler Olivier Enselme-Trichard und Sound-Designer Christophe Carrier zusammen, die seine zukünftigen Geschäftspartner werden sollten. Raphaels Onkel war bereits erfolgreicher Geschäftsmann und drängte ihn förmlich dazu, seine Träume zu verfolgen und eine eigene Firma zu gründen. „Wenn du Pizza machen kannst, kannst du sie auch verkaufen“, predigte er. Mit dem Geld seines Onkels und seinen Freunden gründete Raphael am 1. Oktober 1999 die Arkane Studios in Lyon.
Das vierköpfige Team begann augenblicklich mit der Pre-Production ihres Spieles, das sie als Nachfolger von Ultima Underworld sahen. Nach bewährter Looking Glass Tradition sollte es eine umfangreiche Simulation in einer Rollenspielumgebung werden. Sie strebten den gleichen Interaktivitätsgrad wie in Ultima 7 an, wo der Spieler Mehl und Wasser zu Teig verarbeiten und daraus Brot backen konnte. Was zu Features wie, dass der Spieler Anteile an einer Mine kaufen, dort Probleme wie einen Minenarbeiterstreik schlichten musste und sie anschließend gewinnbringend verkaufen konnte, führte. Die Geschichte sollte die Hauptantriebskraft des Gameplays werden und die Welten-Erkundung aus der Ich-Perspektive ermöglichen. Als ihr Prototyp nach einem Jahr fertig war, hatte sich das Quartett in den Kopf gesetzt, ihr Spiel als Ultima Underworld 3 zu vermarkten. Mit dem Wissen, dass Looking Glass Chef Paul Neurath immer noch die Hälfte der Rechte an dem IP inne hielt, flog Raphael nach Boston und zeigte Paul seine Demo. Paul liebte es und arrangierte ein Treffen mit dem anderen Rechtsinhaber Electronic Arts. Aber Raphaels ehemaliger Arbeitgeber hatte keinerlei Interesse an dem Rollenspiel. Sie wollten es lediglich produzieren, wenn das Arkane Team die RPG Elemente drastisch reduzierte. Raphael widerstand der Entscheidung, zwischen künstlerischer Freiheit und Geschäftssinn. Er lehnte ab und Arkane Studios erstes Spiel wurde stattdessen zu Arx Fatalis. Was auf Deutsch Verhängnisvolle Zuflucht bedeutet. Denn durch die Loslösung von Ultima, erzählte Arx Fatalis von Menschen, die durch eine Sonnenkatastrophe unter die Erdoberfläche gezwungen wurden und da lernen mussten in Höhlenkomplexen mit Trollen und Goblins zu koexistieren. Raphael begann sich nach einem anderen Publisher umzusehen, während das mittlerweile 10-köpfige Team in voller Produktion war.
Sie erschufen alles von Grund auf selbst: Ihre Engine, die erst für den Prototypen entstanden war und zunächst weder Springen noch Kriechen vor sah, da sämtliche Karten wie bei einem Pen & Paper Rollenspiel zweidimensional entworfen wurden. Die Echtzeit-Zwischensequenzen, welche trotz gänzlich fehlender Erfahrung gut platzierte Kameraperspektiven, Zooms und Closeups zeigten. Und die Dialoge, welche Arkanes größtes Problem wurden. Denn das Team hatte sich gleich bei Grundsteinlegung entschieden sämtliche Dialoge in ihren Designdokumenten englisch zu verfassen. Das schien ihnen der beste Schritt für eine internationale Vermarktung. Heraus kam von Franzosen verunstaltetes Englisch, das ein französischer Schriftsteller wieder zurück übersetzte. Die Dialoge wurden derart miserabel, das Arkane sie komplett überarbeiten musste und eine zweite Firma die neuen französischen Texte erneut ins Englische übertrug. Dann gingen die Dialoge zu einem amerikanischen Tonstudio für die Synchronisierung und als die sich, über unfreiwillig komische Passagen für ein eigentlich düsteres Spiel beschwerten, verlieh ein amerikanischer Schreiber den Texten ihren Feinschliff.
Aber es gab auch Punkte die glatt liefen. Cyril Meynier programmierte eine Ereignis-basierte Skript-Sprache, die es den Designern erlaubte alles, von einer Tasse über Goblins bis hin zu Gegenstandskombinationen, selbst zu entwerfen, ohne wieder auf einen Programmierer zurückgreifen zu müssen, der null Ahnung von den Design Dokumenten hatte. Die Gegenstandsinteraktion wurde zur Stärke von Arx Fatalis. Gegenüber den typischen damaligen CRPGs, in denen der Spieler zu einem extra Inventar-Bildschirm wechseln musste, konnte der Arx-Spieler einfach Gegenstände von Leichnam oder Truhe in sein Inventar am unteren Bildschirmrand ziehen. Für das Herstellungssystem wurden schlichtweg Icons im Inventar kombiniert, oder von dort aus nah an ein Feuer gelegt, um sie zu backen oder braten. Etwas eigenwillig wurde das Zaubersystem. Bei diesem musste der Spieler selbst Runen in die Luft zeichnen, um den jeweiligen Zauber zu wirken. Was in den Echtzeit-Kämpfen extrem hektisch wurde und einen Nahkampf-orientierten Charakter definitiv zum besseren Helden werden ließ. Eine Idee, die Rafael durch den damaligen Palm Pilot kam, bei dem der Benutzer die Buchstaben mit einem Stift aufs PDA-Display schrieb. Der Umstand, alles komplett Firmenintern in einem kleinen Team zu regeln, brachte einige Vorteile mit sich. Ging die Engine in die Knie, weil die Karte zu groß wurde, erfanden sie beispielsweise einfach Teleporter.
2001 war Arx Fatalis so gut wie fertig, aber Raphael hatte immer noch keinen Publisher gefunden. Er hatte zwischenzeitlich alle von groß bis klein durch. Todd Vaugh, von den Bethesda Game Studios, war einer von ihnen gewesen. Obwohl er von Arx Fatalis begeistert gewesen war, musste er ablehnen, da sie selbst aktuell am dritten Elder Scrolls arbeiteten. Eine Woche vor dem Konkurs der Arkane Studios, fand Raphael endlich, in dem deutschen JoWood, einen Partner. Doch dank der begrenzten finanziellen Mittel von JoWood, kam das Spiel nicht auf ihren eigentlich angestrebten nordamerikanischen Markt. Schlimmer noch, der Juni 2002 Release von Arx Fatalis war einen Monat nach The Elder Scrolls III: Morrowind und in der gleichen Woche wie BioWares Neverwinter Nights. Trotz einer 80% Durchschnittswertung, wurde Arkanes Debütprodukt ein finanzieller Fehlschlag. Erst als Raphaels Kindheitsidol, Richard Garriott, mit ihm Kontakt aufnahm, besserte sich der Bekanntheitsgrad leicht. Lord British mailte Raphael, dass er Arx Fatalis mochte, es ihm aber zu fordernd sei. Woraufhin Raphael Richard ein Skript für unendlich Pfeile schrieb. Darüber plauderte Lord British in zahlreichen Interviews.